Notes I Found In Pigtown - Geschichten aus dem Viertel (6)
Fackelträger
Es war zwei Uhr morgens und ich konnte nicht schlafen, wie
es so oft der Fall war. Mir fiel nichts ein, was ich anstellen könnte. Keine
Lust aufzustehen, keine Lust liegenzubleiben. Ein völliges Durcheinander meiner
Willenskraft und kein Fünkchen Ambition meinen Arsch auch nur fünf Zentimeter
weit zu schleppen. Schließlich schaffte ich es in die Küche, torkelnd wie ein
hart angeschlagener Boxer, auf dem Weg in seine Ecke. Ich steckte mir eine
Zigarette an und setzte mich an den Esstisch. Lange Überlegungen ins Nichts
hinein. Was am Ende bleibt ist ein stilles Zimmer in der Mitte der Nacht und
viel Rauch um nichts. Dann hörte ich das Jaulen von draußen, es war vielmehr
ein Kreischen und dann sah ich einen jungen Mann, mitten auf der kleinen
Kreuzung stehen, in seiner rechten Hand eine bengalische Fackel, die er gen
Himmel hielt. Er fing an „You’ll never walk alone“ zu singen, doch er war nicht
besonders textsicher, aber darauf schien es ihm sowieso nicht anzukommen. Sein
Singen wurde leiser und verstummte schließlich. Meine Zigarette war inzwischen
verglüht und so erlosch auch das bengalische Feuer, das noch wenigen
Augenblicken zuvor die Straßen in ein schrilles Rot getaucht hatten. Das Licht
verblasste, doch der Arm des Fackelträgers stand noch kerzengrade noch oben
gerichtet. Ein Reisender, ein Suchender, ein Seemann inmitten des tiefen
schwarzen Meeres. Dort draußen ganz allein, umgeben vom Nichts. Nun konnte ich
endlich schlafen.
- MM
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