Notes I Found In Pigtown - Geschichten aus dem Viertel (12)
Um ein Haar
Kurz nachdem ich in den hinteren Wagon eingestiegen war,
hörte ich ein lautes Rülpsen von weiter vorn. Drei junge Mädels, eine davon
hielt sich die Hand vor den Mund, kicherten los und liefen rot an. Die S-Bahn
setzte sich kurz darauf in Bewegung. Die Zugestiegenen nahmen Platz. Es war
kurz nach sechs Uhr morgens. Der Himmel grau, ein kleines Licht hatte sich in
den Wagon verirrt und zitterte durch die Fensterscheibe über die Sitze. Ich sah
mich kurz um. Malergesellen, Einzelhandelskauffrauen mit Smartphone in der
Hand, ein paar alte Männer und Frauen mit traurigen, müden Gesichtern. Weiter
hinten saß ein Mann, mit Vollbart, dicker Strickpullover, bis oben zugeknöpft,
ein fades Abbild von Al Pacino als Serpico. „Die Fahrkarten, bitte.“ Zwei
Kontrolleure bahnten sich ihren Weg durch meinen Wagon. Ich hatte keine
Fahrkarte, da ich nur eine Station fahren wollte. Ja, auch dies ein Vergehen,
aber ich bitte Sie. Wie vom Blitz getroffen hielt die Bahn mitten auf der
Brücke an. Der Fahrer entschuldigte sich. Es würde gleich weitergehen,
versicherte er uns, doch wir standen und standen und egal wie sehr ich mich von
den Kontrolleuren entfernte, sie kamen doch immer näher und die Bahn wollte
einfach nicht weiterfahren. Es gebe ein technisches Problem, kam es durch die
Lautsprecher, doch das interessierte mich nicht. Ich wollte eine Lösung und kein
Problem. Schließlich kamen zwei Schwarzfahrer- Sheriffs auf mich zu, zwei
unscheinbare Typen in grauen Mänteln, aber mit den nötigen Ausweisen. Der
Serpico-Typ hatte seine Hand unter dem Strickpullover versteckt, als würde er
jeden Moment ein Messer hervorziehen und zustechen. Einer der grauen Männer kam
zu mir, der andere ging zu Serpico. Er reagierte erst nicht darauf und auch ich
versuchte Zeit zu schinden. Es war als würde der eine auf den anderen warten.
Wer stach zuerst zu und würde demnach dem anderen die Strafe als Schwarzfahrer ersparen?
Dann kam seine Hand zum Vorschein. Sie hielt einen Fahrschein in der Hand. Er
war gültig. „Ihr Fahrschein, bitte“, sagte der Kontrolleur erneut zu mir. Ich
schüttelte den Kopf. Hätte Serpico zugestochen, Freunde oder hätte die Bahn
nicht so lange gehalten. Um ein Haar wäre ich aus der Sache rausgekommen. Ich
hatte verloren und wir fuhren weiter.
- MM
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