Notes I Found In Pigtown - Geschichten aus dem Viertel (23)
Kein Fahrschein
Er setzte sich in die Straßenbahn und ließ seinen toten Hund zu
Hause im Wohnzimmer zurück. Er hätte nicht sagen können, ob es von
selber kam oder er nachgeholfen hat. Solche Momente gibt es. Alles
erscheint einem fremd, verkehrt und ganz weit entfernt. Die eigene
Straße, die eigene Wohnung, die eigene Küche, der eigene Hund.
Martin ging es jedenfalls so. Rückblickend war ihm alles an diesem
Tag zuviel. Er konnte nicht mal sagen, wo er hin wollte, nur die
Wege zur Bank und danach zum Bahnhof waren fest eingeplant. Doch
soweit sollte es nicht kommen. Er saß gedankenverloren am Fenster,
blickte hinaus, die Stadt grau und träge, jeder Fußgänger so
motiviert wie ein Schwein auf dem Weg zur Schlachtbank. Das Wetter
mild, hin und wieder wehte ein laues Lüftchen. Ein Tag, von denen es
einfach zu viele gibt. Martin war müde, wollte schlafen, war aber
innerlich zu aufgekratzt. Er wusste nicht, ob er später unter oder in
einem Zug enden würde. Er spielte beide Varianten durch. Bei der ersten kam er schneller zu einem Ende, folglich gefiel ihm diese
besser. Jemand hörte zu laut Musik über seine Kopfhörer, ein altes
Frauenpaar unterhielt sich in einer fremden Sprache. Ein Fahrgast las
in einem Buch, das schon fast auseinanderfiel. Martin sah sie sich
alle an. Keiner blickte zurück. Er dachte an Montag, an Dienstag und
den Rest der Woche. Keiner gefiel ihm. Der Kontrolleur kam auf ihn
zu. Ihm war nicht aufgefallen, das zwei von ihnen den Wagon betreten
hatten. Ihm wurde kurz schlecht, dann stieg er mit ihnen aus. Nachdem
sie seine Personalien aufgenommen hatten, blieb er einen Moment an
der Station sitzen und wartete auf die nächste Bahn. Diesmal wollte
er sich ein Ticket kaufen, doch er hatte keinen Cent dabei. Er
lächelte. Er ging zu Fuß nach Hause. Die Sonne ging bereits unter.
Als es schon dunkel war, wickelte er seinen Hund in ein Bettlaken und
begrub ihn auf dem Hinterhof.
- MM
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