Notes I Found In Pigtown - Geschichten aus dem Viertel (24)
Liebestreffen
Tim ist immer total nervös. Schluckt Pillen, kaut Baldrianwurzel,
geht hin und wieder auch zum Therapeuten, aber es hilft alles nicht
so richtig. Aus dem Wohnviertel bewegt er sich auch nicht raus. Die
Innenstadt oder fremde Stadtteile machen ihm Angst. Als er übers
Internet eine Frau kennenlernt und kurz darauf ein Treffen vereinbart
wurde, fing sein Herz wie wild an zu schaukeln. Die Aufregung trieb
ihn schon Tage zuvor an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Sein
erstes Treffen mit einer Frau seit 15 Jahren. Tim ist jetzt 30. Hat
Ideen und Ambitionen, aber alle gut innen drinnen versteckt. Auch von
seinen Träumen spricht er manchmal, aber alle noch unbenutzt. Er
traut sich nicht viel zu und ist am liebsten alleine und dann dieses
Treffen mit dieser Margarete. Er machte sich vorab schon Sorgen, dass
er beim Aussprechen ihres Namens ins Stottern geraten würde. Das
gefiele ihr mit Sicherheit nicht. Mar-mar-mar-gar-ete. Er übte vor
dem Spiegel in seinem Flur. Er sprach ganz leise, ganz ruhig. Denk an
die Methode 4-6-8. Eine Atemtechnik. Tief einatmen und bis vier
zählen. Luft anhalten und weiter bis sechs. Kräftig ausatmen und
nochmal bis acht zählen. Alles wird gut.
An einem Dienstagabend trafen sie sich vor der Eisdiele zwei Straßen
von seiner Wohnung entfernt. Sie trug ein schickes schwarzes Kleid,
die dunkelblonden Haare zu einem Zopf gebunden. Sie wirkte ein wenig
angespannt, aber nicht so zappelig wie Tim. Er stolperte fast, als er
auf sie zu ging. Die Entfernung von der Ecke, ab der er für sie
sichtbar wurde bis zur Eisdiele war einfach zu weit. Zwei Typen, mit
Bierflaschen in den Händen blökten rüber: „Ey, kannst Du nicht
laufen, du Hampelmann?“ Tim war überfordert und konnte nicht mehr.
Er schaffte es noch ohne einen weiteren Fehltritt bis zu ihr hin,
hielt zur Begrüßung die Hand hin und kotzte ihr schönes schwarzes
Kleid voll. Sein Blutdruck schoss nach oben, sein Magen erledigte den
Rest. „Äh, äh...“ Er wollte sich entschuldigen, doch wusste
nicht so recht wie. Die beiden Typen lachten sich schlapp und
schrien: „Auf Schwarz sieht man einfach alles!“ Tim drehte um,
lief davon und mich fast über den Haufen, als ich die Straße
hochkam.
„Was is'n los?“ fragte ich ihn, „Wo ist das Mädchen?“
„Nicht gekommen“, sagte er völlig aufgelöst und schwer atmend,
während er weiter zu seiner Wohnung lief, „nicht gekommen und ich
muss auch wieder weg.“ Dann verschwand er und seitdem hab ich ihn
nicht mehr gesehen.
- MM
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