Rogue Blogue Stories: MY LOVELY NEIGHBOR
Sie
weinte bevor sie in die Küche ging, hielt ihre Hände am Türrahmen fest und sah
sich vor der Kloschüssel kniend, dort im Badezimmer, wo jetzt die Tür aufstand
und ein heller Schimmer von der Straßenlaterne hineinschien. Die Tränen, wie
kleine Käfer, die langsam über ihre Wangen krabbelten hatten aber nur einen
kurzen Effekt und alles normalisierte sich wieder, als sie die Kühlschranktür
aufzog und den Pernod herausstellte. Ein
Wisch über ihr Gesicht und die Tränen waren wieder verschwunden. Sie haderte. Wirklich
Pernod? Verdünnt? Unverdünnt, mit einem Spritzer Zitrone, dessen Säuerlichkeit
sich, bis sie schließlich eingeschlafen wäre auf ihren Lippen absetzte und ihre
Zunge unentwegt daran lecken ließ. Nervig, wie der Mückenstich an ihrem Hals
und das unwohle Gefühl im Unterleib, dass ihre Periode ankündigte.
Mit
einem kleinen Schluck Wasser weihte sie das neue Glas ein und holte das
benutzte schnell aus der Wohnstube, um es im gut gefüllten Waschbecken irgendwo
zwischen Teller und Untersatz zu schieben. Ein neues Glas musste her, nicht
mehr die milchigen Fingerabdrücke, die sie vorwurfsvoll anschauten, während sie
trank und keine faden Lippstiftrückstände am Rand. Jetzt war es Zeit für einen
schönen glucksenden Schluck Pernod, ein wenig Limonade dazu und ein Spritzer
Mineralwasser. Sie nahm die Flasche
Pernod gleich mit, ließ das Glas in ihrer anderen Hand kreisen und befand sich
bald wieder auf ihrer zerknautschten filzigen Zweiercouch mit Blick auf den
ausgeschalteten Fernseher.
„Heute
Abend werde ich einfach mal ein wenig lustig sein und nicht bei jeder
Gelegenheit anfangen zu heulen, wie die kleine Göre, die ich einmal war”,
sprach sie in den Raum, aber niemand antwortete.
Ein
Abend in der Abgeschiedenheit. Ein Salut auf das Leben. Draußen war doch
sowieso nichts los.
Sie kippte den verdünnten Pernod in
sich hinein und ging im Kopf ihre CD Sammlung durch. Sie brauchte genau diesen
Song, der ihr nun helfen sollte. Sie dachte an vergangene Zeiten. Mit 19 auf
Spiritus hängengeblieben und der Weisheit so fern wie der Träumer von der
Seeligkeit. Mit jedem Schluck schien der Raum kleiner zu werden und eine
haarige große Hand griff nach ihr.
„Wenn ich dich kriege, mach ich dich
platt wie ne Flunder“.
Der Raum sprach zu ihr. Das Glas war
leer. Doch von Müdigkeit noch keine Spur und ihr Magen spielte auch noch mit.
Mal was anderes. Nicht jeden Abend auf der Couch einschlafen, nachdem man über
der Toilette gehangen hatte, um sich zu übergeben. Das Monster in den Wänden
war so unentschlossen wie sie selbst. Ein Angriff blieb folglich aus.
„Ach,
verpisst euch alle.“
Der
Pernod floss ins Glas, doch auf das Wasser und die Limonade musste nun
verzichtet werden. War es sicher in Erinnerungen zu schwelgen ohne gleich wieder
in Tränen auszubrechen? Wenn man sich nicht schneiden will, sollte man die
scharfe Seite von sich fernhalten. Ein alter Rat ihres Vaters, kurz bevor er
sie und ihre Mutter verließ, da war sie noch ein kleines Mädchen. Ein Wunder, dass gezeugt worden ist. Ihre
Eltern kamen nie besonders gut miteinander aus. Wahrscheinlich hatte es
ähnliche Hintergründe wie ihr eigenes sexuelles Verhalten, man konnte es eher
mit einer unglücklichen Kettenreaktion vergleichen.
„Bevor
ich wieder gedemütigt neben einem selbstverliebten männlichen Opfer seiner
eigenen Fantasien aufwache, bleibe ich lieber den ganzen Tag zu Hause”, dachte
sie sich.
Ihr
Glas hob sich fast wie von selbst zu ihrem Mund und trieb den Schnaps in ihren
Hals. Ich saufe bis ich nicht mehr kann, bis nicht nur mein Verstand versagt,
sondern mein ganzer Körper. Totaler Zusammenbruch. Oder doch Tabletten? Wäre es
nicht schön wie Marilyn Monroe zu sterben? Der Traum einer jeden Frau, die nicht
mehr ihr Spiegelbild ertragen konnte. Sie lachte und genoss ihren immer
schlimmer werdenden Rausch. Die Flasche war noch halbvoll, denn letzte Nacht
hatte sie sich nur ein paar Gläser genehmigt. Doch es hatte gereicht, um ihren
Magen auf den Kopf zu stellen.
Heute
Nacht wird der Rest getrunken und dann rauche ich die restlichen 12 Zigaretten
aus meiner Schachtel.
***
Mit jedem Durchstrecken ihrer
Wirbelsäule sah sie ihren grünen Pullover weiter werden, der an ihr hing wie
ein zerrissener Sack. Ihre helle Stoffhose diente als bescheidene Antwort auf
das diesjährige Sommermode- Erwachen; hell, luftig, mit ausgeleiertem Bund und
ein paar getrockneten Fettspritzern darunter.
Sie nahm den letzten Schluck, würgte
ein wenig und hatte Befürchtungen ihr Sodbrennen würde wieder auftreten.
Langsam stand sie auf, stellte ihr Glas
aus dem Tisch ab, schaltete das Licht aus und torkelte rüber in die Küche.
Es war dunkel. Ein kühler Windzug -irgendwo
musste noch ein Fenster oder auch zwei geöffnet sein- wehte unter ihr
aufgerolltes Hosenbein. Sie fasste sich zwischen die Beine und begann zu
massieren.
Es klingelte einmal kurz an der Tür.
„Ich
komme”, flüsterte sie und ließ den Kopf fallen, ohne sich zu wundern, wer das
sein könnte.
Sie
ging zur Tür und öffnete vorsichtig. Es war ihre Nachbarin von unten. Sie
stockte einen Moment, als sie bemerkte, dass in der ganzen Wohnung kein Licht
mehr eingeschaltet war.
„Oh,
das tut mir leid. Hatten Sie schon geschlafen?“
„Nein,
ist schon okay.“
„Nun,
ich wollte nur mal nachfragen, ob sie heute Nacht noch in passender Laune
wären, bei einer kleinen Party vorbeizuschauen, die seit etwa einer Stunde
unten im Gange ist?“
„Ach,
ist das so?“ Sie zog die Augenbrauen nach unten.
„Davon
habe ich gar nichts mitbekommen.“
„Wenn
Sie wollen, dass sich das ändert, dann werfen Sie sich etwas über und kommen
vorbei.“
„Ja, vielleicht mach ich das.“
Wie sie es sagte, hatte sie sich schon
entschieden. Die Tür ging wieder zu. Sie wollte nicht gehen und doch zwang sie
etwas, aus dieser traurigen Höhle auszubrechen. Sie holte ihre weiße Bluse aus
dem Kleiderregal und probierte kurz darauf eine knallenge Jeanshose an. Es
passte zusammen. Sie kämmte sich die Haare durch, legte ein wenig Make Up auf,
doch die tiefen Augenringe waren dennoch nicht zu übersehen. Wenn man sie sehen
würde, all diese Fremden Personen da unten, musste man sich schnell ein
grauenvolles Bild von ihr machen. Zu viele Enttäuschungen hatten schon ihren
Weg gekreuzt. Nun war sie eine Alkoholikerin in den frühen 30gern und konnte
einem Gespräch nicht länger als zwei Minuten folgen, ohne den Drang zu
verspüren ihre Faust in etwas hineinzurammen. Ich bin gleich da.
Es brodelte in ihr und jetzt würde sie
bestmmt keinen Schlaf mehr finden. Vielleicht suchte sie einfach die
Konfrontation. Die Chancen standen nicht schlecht, dass sie ihre Faust
tatsächlich in irgend so ein beknacktes Gesicht hineinrammen würde.
Nach den Schuhen folgte der Griff in
die offene Glaskugel auf dem Schuhschrank im Flur. Sie nahm sich ein Kaubonbon
und trat hinaus ins Treppenhaus. Ein zartsüßer Erdbeergeschmack legte sich auf
ihrer Zunge ab und die Packung des Kaubonbons fiel gemächlich zwischen den Treppenhausgeländern
hindurch, wie ein Vogel, der nicht mehr fähig war seine Flügel zu bewegen.
***
Sie kratzte Staubreste aus den schmalen
Ecken des Klingelschildes, ihr war die Nervosität anzumerken, von drinnen hörte
sie die lauten Stimmen und die heitere Musik. Wollte sie das wirklich? Sie
drückte den Knopf. Ein Mann in ihrem Alter öffnete ihr die Tür. Das Lächeln
schien ihr so oberflächlich und sie hatte Probleme damit es zu erwidern, zuviel
Angst auch so gekünstelt auszusehen.
„Hallo.
Sie sind...?“ begann er, doch sie fühlte sich in diesem Punkt nicht mehr so
sicher und alles was sie wollte war ein Glas Scotch mit Wasser.
„Durstig”,
antwortete sie und schlängelte sich an ihm vorbei.
Drei
junge Mädchen mit knappen Röcken, lässigen Tops mit Batikmustern darauf –sie
sahen aus wie Drillinge- und einem
kleinen Jäckchen darüber, unterbrachen ihre Unterhaltung und sahen aus der Ecke
rüber zu ihr. Doch es war ihr egal, was
sie von ihr hielten. Sie fuhr sich langsam die Hand durch die Haare -muss wohl
ziemlich dämlich und vor allem arrogant ausgesehen haben- und ging langsam
durch den Raum, auf der Suche nach ihrer Nachbarin und etwas zu trinken.
„Da
sind Sie ja...“
Die
Gastgeberin kippte feierlich ihren Sekt runter. Darauf folgte ein Hustenanfall.
Sie blickte zu ihrer nach Luft schnappenden Nachbarin und rieb ihr vertraut
aber nicht ganz sicher die Schulter.
„Geht
bestimmt gleich wieder.“
Ihre
Nachbarin nickte.
„Auch
ein Glas?“ Ein älterer Typ mit Brille trat heran und bot ihr sein volles Glas
an.
„Ich
habe auch noch nicht von getrunken“, sagte er und lächelte.
Der
Hustenanfall der Gastgeberin legte sich wieder.
„Ich
würde gern was anderes trinken”, sagte sie.
„Was
immer sie wollen. Bißchen Koks vielleicht oder nen Joint?“ fragte ihre
Nachbarin.
Sie
schüttelte den Kopf. „Sag du.“
Sie
machte sich auf in die grell beleuchtete Küche und suchte sich alles zusammen.
Sie fand schlieβlich eine halbvolle Flasche Scotch in einem Regal und setzte
sich an den Tisch, auf dem ein junger Kerl saß und Musik aus seinem Handy
hörte.
Er
blickte zur ihr und nahm die Kopfhörer aus den Ohren.
„Was?“
fragte er.
„Was?“
fragte sie.
Er
lächelte und blickte ihr in die Augen.
„Habe
ich Sie nicht schon mal irgendwo gesehen?“
„Woher
soll ich denn das wissen?“
Der
Junge steckte sich die Kopfhörer wieder rein, drehte die Lautstärke anständig
auf und verabschiedete sich von ihr mit einem unsicheren Lächeln.
***
Sie
nahm einen guten Schluck direkt aus der Flasche und verschwand daraufhin im
Badezimmer, schloss die Tür hinter sich und genoss einen Moment der Ruhe.
Diese beschissene Flasche mach ich noch leer und dann bin
ich wieder verschwunden.
Sie
zog sich die Jeans und den Slip aus. Der Toilettensitz war angewärmt und obwohl
bei dem Gedanken, dass irgend so ein fetter stinkender Sack kurz vor ihr hier
entleert hatte, sich ihr die Nackenhaare sträubten fühlte sie sich wohl. Sie
berührte das Toilettenpapier, samtweich mit kleinen karoförmigen Mustern
darauf. Das Badezimmer war in einem erstklassigen Zustand, zehn verschieden
Flakons, die auf dem Glasregal über dem Waschbecken standen und die große
goldenen Flasche Chanel No. 5. Draußen feierte man und sprühte vor Lebensfreude
und sie kam sich lästig vor. Es wäre nicht gut länger zu bleiben. Sie dachte an
den Jungen. Hätte sie ihn mit nach oben genommen, wäre er unter Tränen eine
halbe Stunde später nach Hause gestürmt, gedemütigt von einer alten Säuferin,
die keinen echten Charme mehr besaß. Jetzt musste sie lachen.
Sie
nahm sich Papier, machte sich sauber, zog die Hose hoch und stand noch eine
Weile vor dem Spiegelschrank. Sie verzog keine Miene. Sie tastete sich an den
Fläschchen entlang und zog die Schranktür auf. Sie musste etwas mitnehmen. Sie
musste sich keine Sorgen darum machen, dass sie sich eventuell schlecht danach fühlen
würde. Sie schaute durch die Packungen zahlreicher Medikamente und Pflastertüten
bis sie in der hinteren Ecke, neben den beiden Wimpernrollern ein
handflächengroßes Bild fand. Sie schluckte nicht mehr, zitterte ein wenig, als
sie ihr eigenes Foto betrachtete. Dabei konnte sie es gar nicht glauben, dieser
Person auch nur im Geringesten zu ähneln.
Die dunklen Haare saßen perfekt, schulterlang mit einer leichten
Dauerwelle versetzt, darunter ein strahlendleuchtendes Gesicht mit blutroten
Lippen und feurigen braunen Augen. Da schnellte die Türklinke neben ihr runter.
Sie schreckte zusammen.
„Bin
gleich fertig”, rief sie.
Den
Schrank wieder verschlossen, das Bild in der Gesäßtasche versteckt, öffnete sie
die Tür und sah ihre Nachbarin vor sich stehen. Ihre Wangen rotangelaufen mit
einem verwegenen Gesichtsausdruck, der ihr Angst machte. Sie roch stark nach
Alkohol.
“Ich...“, begann sie und ließ sich von ihrer jungen Gegenüber weiter ins Zimmer drängen, “wollte gerade gehen.“
Sie
wollte an ihrer Nachbarin vorbei, doch die ließ sie nicht durch.
„Ich
will nach Hause.“
„Ich
freu mich so, dass du endlich hier bist”, sagte ihre Nachbarin schüchtern.
Sie
trat von einem Fuß auf den anderen und hielt ihr eigenes Bild weiterhin
verborgen, wie ein blutiges Messer, das sie enttarnen könnte.
„Ich
weiß, dass du es gefunden hast.“
Die
junge Frau bewegte sich auf sie zu und umklammerte ihren Körper, sie fuhr mit
den Händen über ihr Gesäß, stöhnte einmal sachte auf und zog ihr das Foto aus
der Tasche. Sie bewegte sich zurück, hielt das Foto vor ihre Brust und machte
sich nicht mehr die Mühe etwas zu sagen.
„Wo
hast du das her?“ fragte sie und doch wusste sie die Antwort irgendwie schon.
„Ich
habe die ganze Stadt nach dir abgesucht”, sagte ihre Nachbarin und rieb ihr
sachte die Wange.
„Sie
sind verrückt.“ Sie siezte sie wieder, um einen gewissen Abstand zu ihr zu
bekommen.
„Du
bist wunderschön.“
„Was
wollen Sie?“
„Ich
will dich küssen”, sagte die junge Frau und griff ihr an den Hals.
„Sie
sind betrunken.“
„Du
doch auch.“
„Ich
geh jetzt.“
„Nein.“
Die
Nachbarin stellte sich wieder in den Weg, doch da wurde sie an den Schultern
gepackt und ins Badezimmer geschubst. Sie landete auf dem Boden. Über ihr
segelte das Bild herab und landetet auf ihrem zusammengedrückten Bauch. Als sie
schon dachte verlassen worden zu sein, lehnte sich der alte Kopf der Säuferin
noch mal über sie und blickte müde herab.
„Du
willst mich nicht, glaub mir“, sagte sie.
„Ich
will dich küssen. Bitte.“
„Ich
nehm mir was zu trinken mit und verschwinde.“
„Nimm
dir, was du willst.“
„Und
das hier…“ sagte sie, beugte sich hinunter und griff sich ihr Foto, „nehme ich
auch wieder mit uns solltest du verrücktes Miststück noch einmal in meine
Wohnung einbrechen, schlag ich dich grün und blau.“
Sie
ging in die Küche und nahm sich, was sie kriegen konnte. Zwei Flaschen Scotch und eine zum Drittel
gefüllte Pulle Rum. Das reichte erstmal.
***
Sie
fügte sich der Dunkelheit oben in ihrer Wohnung, ließ die Lichtschalter vorerst
unberührt und setzte sich auf ihre Couch im Wohnzimmer. Sie lehnte ihr Foto an
die Rumflasche, drehte den Scotch auf und nahm einen kräftigen Hieb. Sie wurde
nervös, Schweiß machte sich auf ihrer Stirn breit. Sie nahm gleich noch einen
Schluck. Sie sah ihr hübsches Ich vor sich auf dem Tisch stehen. Ihre Nachbarin
muss hier durch die Räume gegangen sein und hat wer weiß was angestellt.
Eigentlich sollte sie sich unwohl fühlen, aber das war dieses Gefühl begehrt zu
werden und das hatte sie schon lange nicht mehr gespürt. Doch vielleicht war
alles nur ein merkwürdiger Traum? Sie fasste sich zwischen die Beine und begann
zu massieren. Sie nahm den letzten
Schluck, kippte sich die Hälfte auf die weiße Jeanshose und brach auf der Couch
zusammen.
- MM
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